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New Glocal Food Trends 2023

Die renommierte Foodtrend-Forscherin Hanni Rützler, hat nun zum zehnten Mal in Folge in ihrem Food Report 2023 die aktuellen und globalen Entwicklungen rund ums Essen analysiert. Die ausgebildete Gesundheitspsychologin und Ernährungswissenschaftlerin setzt sich bereits seit über zwei Jahrzenten intensiv mit der Food-Branche auseinander.  

New Glocal Hanni Rützler

“Foodtrends sind Antworten auf aktuelle Bedürfnisse und Probleme und spiegeln wandelnde Werte in unserer Gesellschaft wider.”, definiert Hanni Rützler. Wir möchten hier nun näher auf die aktuellen Trends und Ursachen eingehen.  Es sind sehr bewegte Zeiten in der Nahrungsmittelindustrie: Die Dynamik des Marktes nimmt zu und die Anpassungsfähigkeit, der Marktakteure in diesem rapiden Wandel wird von entscheidender Bedeutung für den jeweiligen Fortbestand sein.  

Bereits die Corona-Pandemie war für globale Just-in-time-Wertschöpfungsketten in vielen Branchen eine große Herausforderung. Diese Entwicklung hat sich nun auch durch den Ukraine-Krieg weiter verschärft - die Kritik am Globalen Sourcing, das heißt der globalen Beschaffung von Ressourcen, nimmt zu. Damit auch der Dialog und gesellschaftliche Diskurs zu konstruktiven Alternativen, die dem zunehmenden Wunsch nach einem neuen, sinnvolleren Verhältnis von lokal produzierten und global importierten Nahrungsmitteln entsprechen. Wie wird sich die Nahrungsmittelversorgung in Anbetracht dieses Trends in Europa entwickeln? Die Unabhängigkeit von globalen Importen in Europa wäre vor allem durch die aktuell sehr hohe Nachfrage im Futtermittel-Bereich, ein Ziel in großer Ferne. 

Was ist New Glocal? 

"Glocal" ist ein Begriff, der die Worte "global" und "lokal" kombiniert und sich auf die Idee bezieht, global zu denken und lokal zu handeln. Damit wird anerkannt, dass viele Probleme und Herausforderungen, mit denen wir als Gesellschaft konfrontiert sind, sowohl eine globale als auch eine lokale Dimension haben und dass die Suche nach Lösungen für diese Herausforderungen, die Berücksichtigung beider Perspektiven benötigt. Insgesamt unterstreicht der Begriff "glocal" die Verflechtung der Welt und die Bedeutung des Verständnisses sowohl globaler als auch lokaler Faktoren bei der Bewältigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen. 

New Glocal berücksichtigt nicht nur lokale und globale Aspekte, sondern verleiht diesen auch eine neue Hierarchie. Im Zusammenhang mit der Lebensmittelindustrie führt das dazu, dass die regionale, resiliente Verfügbarkeit zum obersten Kriterium wird, statt dem niedrigsten Preis und der billigsten Produktion. Dort, wo der Lebensmittelhandel weiter auf internationale Importe setzt, werden sich die Rahmenbedingungen nach und nach stark verändern. 

Der Trend Richtung “Glokalisierung” hat sehr gewichtige Ursachen. Einerseits geraten hier die ökologischen Folgen einer rücksichtslos globalisierten Nahrungsmittelindustrie zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Andererseits haben die ersten Ausfälle und Knappheiten in Pandemie-Zeiten bereits die Abhängigkeiten von globalisierten Lieferketten sowie deren Fragilität in diversen Branchen in Europa deutlich aufgezeigt. Geopolitische Krisen machen die Verletzlichkeit des Systems noch mehr bewusst. Es stellt sich natürlich die wichtige Frage, wie wir hier an Resilienz gewinnen können. Die Antwort ist klar und einfach, sie lautet “new glocal” als neues Handlungsparadigma. Diese Neuausrichtung hinsichtlich Resilienz und Nachhaltigkeit in der Lebensmittelversorgung wird zu regionaleren Agrarstrukturen, transparenten und vor allem kürzeren Lieferketten, aber auch einem neuen Fokus auf Binnenmärkt führen. Ganz im Zeichen des Klimawandels spielen neben New Glocal auch zahlreiche andre Trends wie Veganizing Recipes und Regenerative Food im Fokus des Reports. 

Was hat New Glocal nun überhaupt mit Insektenessen zu tun? 

Europa hat durch den aktuell hohen Fleischkonsum, sowie die intensive Nutztierhaltung, einen immens hohen Bedarf an Protein-Futtermittel wie beispielsweise Sojaschrot und Mais. Hier besteht eine sehr hohe, globale (!) Importabhängigkeit. 

Daher wächst nun auch in Europa das Interesse an der Verwendung von Insekten als Proteinquelle. Insekten gelten als äußerst nachhaltige und nährstoffreiche Nahrungsquelle und haben einen geringeren ökologischen Fußabdruck als die traditionelle Viehzucht. Stärkstes Argument ist jedoch die unschlagbare Futtermittel-Konvertierung und der damit sehr geringe Landnutzungsanspruch je erzeugtem Kilogramm Protein, dh. die Umwandlung von pflanzlichem Input zu hochwertigem Proteinoutput, findet mit Insekten deutlich effizienter statt als mit aktuell konventionellen Nutztieren. Mal davon abgesehen, dass natürlich auch die Zucht selbst nur einen Bruchteil an Fläche und Wasser beansprucht. Hier liegt mathematisch ein großer Hebel, um in der ökologischen Effizienz unserer Proteinversorgung das bisher “ungenutzte” Potential rauszuholen, aber auch damit deinen persönlichen ernährungsbedingten ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Aus Weniger mehr machen, ist ganz am Puls der Zeit, wenn es um alltagstaugliche Lösungen geht.  

Wie viel Protein-Futtermittel wird in Europa importiert? 

Die Menge das nach Europa importierten Futtermittel schwankt natürlich von Jahr zu Jahr. 2021 wurden mehr als 39,7 Millionen Tonnen Futtermittel in die EU importiert! Die europäische Futtermittelindustrie ist der bei weitem größte Verbraucher von pflanzlichen Proteinen in der EU, insbesondere von Sojaschrot. Nach Angaben des Europäischen Verbands der Futtermittelhersteller (FEFAC) ist die Europäische Union (EU) auch der weltweit größte Importeur von Sojaschrot, das zum größten Teil aus Südamerika, insbesondere aus Brasilien und Argentinien, stammt. Sojaschrot ist ein wichtiger Bestandteil von Tierfutter und wird zur Proteinversorgung von Nutztieren wie v.a. Schweinen, Geflügel und Milchkühen verwendet. 

https://fefac.eu/wp-content/uploads/2023/03/FF_2022_final.pdf 

 

Welche ökologischen Auswirkungen hat die Abhängigkeit Europas von globalen Eiweißimporten auf die Welt? 

Die Abhängigkeit Europas von Protein-Importen hat weltweit erhebliche ökologische Auswirkungen.  

Änderung der Landnutzung: Die Umwandlung natürlicher Ökosysteme in landwirtschaftliche Nutzfläche zur Deckung des europäischen Eiweißbedarfs kann ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Landnutzungsänderung haben. Dies kann zu erhöhten Treibhausgasemissionen, zum Verlust von Lebensräumen, zur Verschlechterung der Bodenqualität und zu anderen Umweltproblemen führen. 

Entwaldung: Die europäische Nachfrage nach Sojabohnen, Palmöl und anderen eiweißreichen Pflanzen hat zur Abholzung der Wälder in wichtigen Erzeugerländern wie Brasilien, Indonesien und Malaysia beigetragen. Dies hat natürlich erhebliche, regionale und globale Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, die Kohlenstoffbindung und andere Ökosystemleistungen.  

Wasserknappheit: Die landwirtschaftliche Eiweißproduktion ist sehr wasserintensiv. In einigen Gebieten führt dies zu Wasserknappheit und zunehmender Konkurrenz um diese lebenswichtige Ressource.  

Klimawandel: Die Produktion und der Transport von eiweißhaltigen Pflanzen für Futtermittelzwecke und tierischen Erzeugnissen tragen natürlich auch zu Treibhausgasemissionen in diesen globalen Wertschöpfungsketten bei. Dadurch wird menschlich verursachte Klimawandel weiter verschärft. 

Insgesamt hat die Abhängigkeit Europas von Protein-Importen weltweit erhebliche ökologische Auswirkungen und es besteht der akute Bedarf nachhaltige Produktions- und Verbrauchspraktiken zu forcieren und zu fördern, um diese Auswirkungen entsprechend zu reduzieren. Dazu gehören natürlich diverse Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs und Einsatzes von tierischen Erzeugnissen, v.a. des hohen Fleischkonsums in Mittel-Europa, sowie auch die Förderung nachhaltiger Landwirtschafts- und Landnutzungspraktiken. Damit könnte sehr konsequent eine Verringerung der Treibhausgasemissionen des Lebensmittelsektors erreicht werden. 

Auswirkungen von “New Glocal” auf den heimischen Markt? 

Aber was bedeutet das nun für unseren heimischen Markt und Produzenten, sowie Händler bis hin zur Gastronomie? New Glocal wird laut Hanni Rützler kein vorübergehender Trend sein, sondern ist als klarer Vorbote der nächsten Entwicklungsstufe in der globalen Lebensmittelproduktion zu verstehen. Der neue Fokus liegt auf Regionalität und nachhaltiges Wirtschaften mit resilienten Verschränkungen zu überregionalen und globalen Strukturen. Schritt für Schritt wird dies auch zu einer Neuausrichtung des Sortiments im Lebensmitteleinzelhandel führen. Für alle Wirtschafstreibenden bleibt die Sicherstellung von funktionierende und resilienten Lieferketten die oberste Prämisse.  

 

Quellen: 

https://www.futurefoodstudio.at/ 

https://www.futurefoodstudio.at/publikationen/ 

https://fefac.eu/ 

https://fefac.eu/wp-content/uploads/2023/03/FF_2022_final.pdf 

https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/food/food-trends-hanni-ruetzler/